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Von Dirk Hamann · 09.05.2023

Böblingen feiert 70 Jahre Freibad: Vom Stolz der Stadt zur Frische-Oase

Neue Freibadsaison mit rundem Geburtstag

Am 1. August 1953 kamen Tausende Menschen zur feierlichen Einweihung des 450 000 Mark teuren Freibads. Eine Badeanstalt, die damals in ihrer Größe einmalig in der Region war - und mit der sich die Stadt einen jahrzehntelang gehegten Herzenswunsch erfüllte.

Böblingen.Der 1. August 1953 ist einer für das Geschichtsbuch Böblingens. Der gerade einmal 32-jährige Oberbürgermeister Wolfgang Brumme steht auf dem 5-Meter-Brett, blickt zufrieden über eine Menschenmenge, die sich fein gekleidet und dicht gedrängt rings um das 50-Meter-Becken schart. Der Musikverein spielt Festmusik, Olympiasieger Fritz Geyer zeigt sein Können als Turmspringer, die Polizei demonstriert Rettungsübungen und Schwimmer pflügen in zwei Staffelrennen durchs Wasser. Dann ist das Freibad an der Stuttgarter Straße eröffnet. „Ein Jahrzehnte bestehender Wunsch der Böblinger Bevölkerung ist in Erfüllung gegangen“, sagt Wolfgang Brumme, der zudem hinter ein Versprechen aus dem Wahlkampf 1948 einen dicken Haken setzen darf.


Badehaus am Oberen See


Das Böblinger Freibad ist sofort der ganze Stolz einer rund 13 000 Einwohner zählenden Stadt, die gerade im Begriff ist, die Schrecken des 2. Weltkriegs und die Ruinen der zu 40 Prozent zerstörten Stadt hinter sich zu lassen und stattdessen einen enormen Wachstumskurs einzuschlagen, zu dem auch der Bau des Freibads gehört. Eine Freizeiteinrichtung, die in ihrer Größe in der Region ihresgleichen sucht, eine, die für das beschauliche Böblingen eigentlich eine Nummer zu groß ist. Die Kosten von 450 000 Mark überstiegen das städtische Budget. Dass der vom Stuttgarter Architekten Werner Gabriel entworfene Badetempel dennoch realisiert wird, liegt an der enormen Spendenbereitschaft der Bürger, die 110 000 Mark sammeln, um den Freibad-Bau zu unterstützen.


Mit Eröffnung des Badetempels endet eine lange Leidenszeit, in der Böblinger in den Sommermonaten nach einer Badeanstalt lechzten, doch dieser Wunsch wegen politischer Irrungen und Wirrungen nie verwirklicht wurde. Das Dilemma begann 1892. Bis dahin gingen die Böblinger zum Baden an den Oberen See, wo sich an der Einmündung des Murkenbachs sogar ein Badehaus befand. Doch dann wurde etwas oberhalb am Murkenbach das Wasserwerk eröffnet, der See erhielt nicht mehr ausreichend Wasser – und der Badespaß, wegen Blutegeln mitunter zweifelhaft, war vorbei.


Viele Ideen und geplatzte Träume


1910 dachte der Gemeinderat daran, den Ganssee, die Berner Seen an der Schönaicher Straße oder den Unteren See als Freibad zu nutzen. Ideen, die genauso verworfen wurden wie die, die 1926 aufpoppte – nämlich am Wasserturm ein mit Leitungswasser gespeistes Bad zu erreichten. Um 1932 dachte man daran, doch wieder den Oberen See zu nutzen, eines auf dem Gelände der heutigen Wildermuthkaserne zu bauen. 1936 versuchte man, gemeinsam mit Sindelfingen eine Lösung zu finden, man plante für 120 000 Reichsmark ein gemeinsames Schwimmbad am Goldbach. Doch auch daraus wurde nichts. Stattdessen kam 1938 der Standort an der Stuttgarter Straße ins Spiel. Dann brach der 2. Weltkrieg aus. Und der Traum von der Böblinger Badeanstalt platzte erneut.


Im Freien gebadet haben die Böblinger trotzdem. Manche nutzten dazu das vom Natur- und Luftbadeverein 1930 gebaute 8 mal 16 Meter große Badebecken beim heutigen Waldheim, Jugendliche nutzten um 1933 eine Lehmgrube der Dampfziegelei im Bereich Mönchweg, geplanscht wurde in den Seen an der Schönaicher Straße oder nach einem Fahrradausflug in den modernen Bädern in Schönaich oder Herrenberg – oder auch im Holzgerlinger Ludlesbad, wo sich heute das Vereinsheim der KFV Kalteneck befindet.


Skiroller- und Langlauf-Rennen


Jetzt aber, ab dem 1. August 1953 ist Böblingen der Bade-Hotspot schlechthin. In den ersten drei Wochen kamen 50  000 Besucher, 25 Pfennig Eintritt bezahlen die Kinder, Erwachsene das Doppelte. Dazu ist das Freibadgelände eines, das auch für andere Sport-Events taugt: Im Sommer steigen hier Böblinger Meisterschaften im Skiroller-Rennen, in schneereichen Wintern geht’s im Langlauf um Siege und Pokale.


Der Badeboom hält indes auch mit dem rasanten Wachstum der Stadt Schritt – erst recht, als im Freibad Ende der 1960er-Jahre der Einbau einer Badewasserheizung und der Bau einer Wärmehalle sowie beheizte Umkleideräume das Ende der Kaltwasser- und Gänsehautzeit markieren. Pendelten sich die Besucherzahlen pro Saison zuvor bei rund 160 000 ein, so gibt es 1973 mit 426 000 Badegästen einen neuen Besucherrekord.


Familien-, Jugend- und Liebeswiese


Die Böblinger Freibadekultur verläuft bis in die 1990er-Jahre hinein nach klaren Regeln. Die Wiese an der Stuttgarter Straße beim Babybecken mit wasserspeiender Mosaikstein-Schlange nehmen junge Familien und Grundschüler mit ihren Badehandtüchern in Beschlag, die Wiese hinter dem Sprungturm gehört der Jugend – und die Fläche oberhalb des 50-Meter-Beckens ist ein beliebter Liege-, Knutsch- und Kuschelort für frisch verliebte Pärchen. Die sumpfige Wiese unterhalb des Hexenbuckels ist zum Kicken da, fünf kleine Asphaltplätze sind beliebter Spielort für Duelle im Fußball- oder Family-Tennis, sehr beliebt sind die Tischtennisplatten. Und der Ausflug auf den wackeligen 10-Meter-Turm ist nur etwas für Könner und besonders Mutige – alle zusammen erhalten, wenn der Bademeister den 10er aufmacht, bewundernde Blicke, werden zu echten Freibadhelden.


Sprungturm steht unter Denkmalschutz


Mit der wilden Springerei vom 10er ist es seit Mitte der 1990er-Jahre vorbei. Das Freibad wird komplett saniert. Unter anderem bekommen die Becken eine Stahlwanne, eine große Wasserrutsche wird installiert und die Spielwiese wird zum ordentlichen Rasenplatz mit angrenzendem Beachvolleyball-Feld. Und der Sprungturm? Der erfüllt die Sicherheitsvorgaben nicht mehr – muss aber, wie auch der Umkleidetrakt, aus Denkmalschutzgründen erhalten bleiben. Unter entschärften Bedingungen darf noch aus 1, 3 und 5 Meter Höhe gesprungen werden – der 10er bleibt aber gesperrt.


Heute, 70 Jahre nach der Eröffnung, ist das Freibad noch immer eine unverzichtbare Freizeiteinrichtung. Kinder zahlen inzwischen 2,70 Euro Eintritt, Erwachsene 4,80 Euro. Skiroller-Rennen sind Geschichte, dafür spielt der Wellness-Gedanke eine immer größere Rolle. „Eine Frische-Oase mitten in der Stadt.“ Mit diesem Slogan werben die Stadtwerke Böblingen für ihr Bad, das am 13. Mai in eine neue Saison startet.