PIG | KOLUMNE Menschenskind! Kindergarten Eden Unsere Kolumnistin schaut bisweilen nicht nur einem Kind beim Wachsen zu, son- dern auch den Pflanzen in ihrem Garten. Dass diese sie mal bei der Kinderbetreuung unterstützen, hätte sie sich auch nicht träumen lassen. Man fragt sich ja manchmal, ob und, wenn ja, wann man eigent- lich erwachsen geworden ist. So was kommt natürlich nicht mit der Volljährigkeit, auch nicht mit dem Auszug aus der elterlichen Woh- nung und, zum Entsetzen vieler, noch nicht mal zwangsläufig dann, wenn man plötzlich ein Baby im Arm hält. Ein Moment, der mich dem Erwachsensein aber zumin- dest ein Stück nähergebracht hat, war der, als ich selbiges schlafend in einem Tuch umgebunden vor mir hertrug und dann eine Stink- wanze kurz über dessen Kopf in meinem Ausschnitt landete. Statt mit Schreien und Fuchtelei die Wanze und das Kind zu traumatisieren, nahm ich mich superheldinnenhaft zurück und bat meine Begleitung relativ besonnen, mich des Insekts zu entledigen. Das ist mittlerweile drei Jahre her, aber ein nicht unerheblicher Teil mei- nes Mutterdaseins besteht bis heute darin, „Uäh“ zu denken, dann aber irgendetwas wie „Wow“ zu sagen – sei es bei Kindergartenfesten („Also, Mia macht schon sehr anspruchsvolle Puzzles und liebt Gemüsesticks“) beim Töpfchentraining („Mama guck, ich habe einen Stinker ins Klo gemacht!“) oder eben bei der Entde- ckung der hiesigen Natur. . Thekla Dörler, Mutter eines Klein- kindes, sammelt in dieser Kolumne Alltagsabenteuer, Dreikäsehoch-Ge- schichten und allerlei Naseweisheiten. es warten dort zahlreiche Beschäf- tigungen, an denen sich Kinder hervorragend beteiligen können und die noch dazu ökologisch und pädagogisch wertvoll sind. ..,. Klar wären Hunde, Katzen, Hüh- ner oder Pferde schön, um dem Kind die Fauna näher zu bringen. Das ist in der Stadt allerdings nicht ganz so einfach und so begnügen wir uns mit den etwas kleineren Bewohnern unseres Gartens, also Vögeln, Eidechsen, Ameisen, und allerlei Krabbelgetier. Da ich den Blick meines Kindes auf die Natur zu einem positiven und wertschät- zenden machen möchte, heißt es dabei oft, Augen auf und durch: Baby-Nacktschnecken werden ge- nauso staunend beäugt wie verschiedene Stadien der Marienkäferverpuppung oder Amseln, die mit noch zappelnden Eidechsenschwänzen kämpfen. Unter größter Selbstbeherrschung zeige ich dem neugieri- gen Kind diverse Würmer in Erde, Baum oder selbst gepflückter Kirsche. Im vergangenen Sommer wohnte sogar eine Wespenspinne in unserem Garten – und die sieht eigentlich genauso aus, wie man sie sich jetzt vorstellt. Trotzdem haben wir sie fast täglich besucht, dort in ihrem Rosmarinbusch. Noch erwachsener bin ich, seitdem ich Gartenarbeit verrichte. Zumindest fühle ich mich nie so reif und geerdet (diese Metaphern können kein Zufall sein!), wie wenn ich Tomaten einpflanze oder Efeu zurecht- schneide, was ich natürlich erst tue, seitdem ich Mut- ter bin. Während mich private Grünflächen früher höchstens als Partylocation interessiert haben, ist der Garten heute nämlich eine wertvolle Hilfe bei der Kindererziehung und -bespaßung. Streng genommen ist er sogar eine kleine erholsame Auszeit davon, denn Pflanzen bergen ohnehin ein gutes Beschäftigungs- potenzial – vom Pusteblumenpusten über Rosenrie- chen bis Basilikumfuttern – alles kann das Interesse des Kindes wecken, mit der richtigen Geschichte dazu sogar das, was nicht da ist: Während der Sohn also gerne mal begeistert nach Klee mit vier Blättern sucht, kann ich circa ebenso viele in meinem Buch lesen. Und wenn das kein Glück ist, dann weiß ich auch nicht. • 54 | 55